„Ein Bube von Auerbach an der Bergstraße hütete seines Vaters Kühe auf der schmalen Talwiese, von der man das alte Schloß sehen kann. Da schlug ihn auf einmal von hintenher eine weiche Hand sanft an den Backen, daß er sich umdrehte, und siehe, ein wunderschöne Jungfrau stand vor ihm, von Kopf zu den Füßen weiß gekleidet, und wollte eben den Mund auftun, ihn anzureden. Aber der Bub erschrak wie vor dem Teufel selbst und nahm das Reißaus ins Dorf hinein. Weil indessen sein Vater bloß die eine Wiese hatte, mußte er die Kühe immer wieder zu derselben Weide treiben, er mochte wollen oder nicht. Es währte lange Zeit, und der Junge hatte die Erscheinung bald vergessen, da raschelte etwas in den Blättern an einem schwülen Sommertag, und er sah eine kleine Schlange kriechen, die trug eine blaue Blume in ihrem Mund und fing plötzlich zu sprechen an: „Hör, guter Jung, du könntest mich erlösen, wenn du diese Blume nähmest, die ich trage und die ein Schlüssel ist zu meinem Kämmerlein droben im Schloß, da würdest du Gelds die Fülle finden.“ Aber der Hirtenbub erschrak, da er sie reden hörte, und lief wieder nach Haus. Und an einem der letzten Herbsttage hütete er wieder auf der Wiese, da zeigte sie sich zum drittenmal in Gestalt der ersten weißen Jungfrau und gab ihm wieder einen Backenstreich, bat auch flehentlich, er möchte sie doch erlösen, wozu sie ihm alle Mittel und Wege angab. All ihr Bitten war für nichts und wieder nichts, denn die Furcht überwältigte den Buben, daß er sich kreuzte und segnete und wollte nichts mit dem Gespenst zu tun haben. Da holte die Jungfrau einen tiefen Seufzer und sprach: „Weh, daß ich mein Vertrauen auf dich gesetzt habe; nun muß ich neuerdings harren und warten, bis auf der Wiese ein Kirschenbaum wachsen und aus des Kirschbaums Holz eine Wiege gemacht sein wird. Nur das Kind, das in der Wiege zuerst gewiegt wird, kann mich dereinst erlösen.“ Darauf verschwand sie, und der Bub, heißt es, sei nicht gar alt geworden; woran er gestorben, weiß man nicht.“
Soweit die Sage von der Wiesenjungfrau, welche wir in der Sammlung unserer Gebrüder Grimm finden. Der jüngere Bruder Wilhelm wurde 1786 im hessischen Hanau geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft schlug er die Laufbahn eines Gelehrten ein und leistete mit seinem älteren Bruder Ludwig Karl wahrhaft Bedeutendes. Von einem deutschen Wörterbuch über die Sammlung der Sagen und Märchen unseres Volkes bis hin zu Abhandlungen über unsere deutsche Rechtsgeschichte. Kassel, Göttingen und Berlin wurden ihre Wirkungsstätten. Geehelicht hat unser Wilhelm Grimm 1825 Henriette Wild, die ihm eine Tochter und drei Söhne Gebar. Wie gewohnt stellen wir Panzertiere euch heute die Werke unserer Gebrüder Grimm vor. Ich werfe einen Blick in die „Deutschen Rechtsaltertümer“ von unseren Gebrüdern Grimm: https://archive.org/details/deutscherechtsa05grimgoog
„Aus drei Ursachen, ist dieses Buch geschrieben. Von der langen grammatischen Arbeit wollte ich mich an einer andern, sie nicht bloß obenher abschüttelnden erholen; ich wollte meine ehemals liebgewonnenen, nur noch läßig fortgeführten Sammlungen für das altdeutsche Recht in dem Eifer einer emsigen Nachlese und frisch daran gesetzten Prüfung beleben; endlich erwog ich, daß es nicht über meine Kräfte wäre, darzutun, auf welche unversuchte Weise unsere Rechtsaltertümer könnten behandelt werden. Mit der Erholung schlug es mir beinahe fehl, der Stoff wuchs und gedieh zu lohnender Ausbeute, wegen des dritten Punkts bedarf es einer näheren Erklärung. Ohne zur Lösung ihrer Aufgabe gelangt zu sein, ist die Schule deutscher Rechtsantiquare des verwichenen Jahrhunderts ausgestorben. Für eine gelehrte, noch immer schätzbare Grundlage hatte in seinen beiden Büchern Heineccius gesorgt, aber doch aus zu beschränktem Quellenvorrat geschöpft. Grupens und Dreyers Ruhm, wenn von mehr als trockner literarischer Untersuchung die rede ist, bin ich genötigt herunter zu stimmen; ich kann wenigstens in ihren einzelnen Ausarbeitungen (auf das ganze Feld hat sich keiner von beiden gewagt) statt fruchtbarer, hinhaltiger Ergebnisse nichts finden als peinliche Mühe und durchgehende Geschmacklosigkeit, die sich in Grupens keltischen Etymologien bis ins unerträgliche steigert, dessen ungeachtet ist er gründlicher, historisch gebildeter und auch sprachgelehrter als Dreyer. Desto höher schlage ich die stilleren, halb verkannten Bestrebungen eines anderen Mannes an. Haltaus hat sich durch fein vortreffliches und umfaßendes Glossarium, worin der Fleiß eines Ducange weht, dauerndes Verdienst um die Altertümer des deutschen Rechts erworben; dieses Werk ist nicht wie es sollte bisher benutzt worden, weil die alphabetische Ordnung seine Schätze zerstreut und verbirgt. Wen von den späteren soll ich anführen? Mösers geistreiche Schriften zeigten, welche Bedeutung das deutsche Recht in unserer ältesten Geschichte haben müße, und seine tiefen Blicke in das Verhältnis der westphälischen Marken lehrten, wie viel Altertümliches noch jetzt in dem einfachen Landleben wahrzunehmen sei. Allein Mösers Mutmaßungen verstiegen sich in das Ungewisse und geblendet von ihrer Kühnheit wußte keiner seiner Nachfolger ihm seine große Beobachtungsgabe abzulernen. Für Ergründung der Rechtsaltertümer geschah nur wenig. Zwei scheinen mir jedoch zu nennen, die mit Erfolg in diesem Fach gearbeitet haben, Bodmann und Kindlinger. Beiden glückte es, während der französischen Umwälzung, in den Rheinländern und in Westphalen vieler Urkunden des Mittelalters habhaft zu werden. Einen Teil seiner Sammlung gab Kindlinger selbst heraus, der andere Ungedruckte ist gerettet worden und jetzt seit Kurzem in Paderborn verwahrt; wie gern hätte ich davon noch für mein Buch Gebrauch gemacht! Kindlingers eigne Schriften, wiewohl fast ganz aus Urkunden gezogen, sind ohnmächtig geblieben und namentlich ist die über Hörigkeit ein Muster von verworrener, mit sich selbst unfertiger Darstellung. Mehr darauf, seine Sammlungen zu verarbeiten, verstand sich Bodmann, dessen Hauptwerk vom Rheingau höchst brauchbar, ja unentbehrlich ist, so übel dabei die Einmischung ungehöriger und selbst widriger Ansichten, die recht das Gegenteil sind von Möserschem seinem Takt und Sinn, empfunden werden mag. Für den vollständigen Abdruck der Ausgezognen, nach seinem Tod wieder auseinander geratnen Quellen würde man ihm alle eigne Zugabe erlassen haben. In unsern Tagen hat, vorzüglich unter Eichhorns Händen, die Wissenschaft des deutschen Rechts einen neuen Schwung genommen, die eigentlich antiquarische Forschung aber mindere Fortschritte gemacht, als man von der an sich historischen Richtung der heutigen Germanisten erwarten sollte; sei es, daß ihnen manche Punkte des Altertums zu geringfügig und unscheinbar vorkommen, oder daß sie noch zu lebhaft mit den wichtigeren Lehren, deren Einfluß auf das spätere praktische Recht vorwaltet, beschäftigt sind. Durch nichts aber, glaube ich, wird die innige Teilnahme an dem Altertum so gestört wie durch überwiegende Wendung nach dem heutigen Zustand. Ich achte diese sehr hoch und will nur den Unterschied erklären, der zwischen dem historischen Rechtsgelehrten eintritt und dem Altertumsforscher. Jener erläutert das Neue aus der Geschichte des Alten, dieser das Alte aus dem Alten selbst und nur hilfsweise aus dem Jüngeren; jener läßt das ganz Veraltete, dieser das bloß Neue beiseite liegen. Jener ist gezwungen, das Alte dem System des neuen Rechts anzufügen, dieser wird geneigt sein, die vielgestaltige Erscheinung des Alten auf ihrer breiteren, freieren Grundlage ruhen zu lassen. In dem Altertum war alles sinnlicher entfaltet, in der neuen Zeit drängt sich alles geistiger zusammen. Hier ist vorzugsweise Erwägung, Begründung und Darstellung geboten, dort Sammlung und einfache Erzählung. Unter solchen Umständen schien es mir mehr gewagt als unratsam, wenn einer der nicht Rechtsgelehrter von Fach wäre, ohne alle Rücksicht auf Praxis und heutiges System, sich unterfinge, Materialien für das sinnliche Element der deutschen Rechtsgeschichte, so viel er ihrer habhaft werden könnte, vollständig und getreu zu sammeln. Doppelt würde der Gewinn sein, wenn es gelänge dadurch nicht bloß die Aufmerksamkeit der Juristen, sondern auch anderer Altertumsforscher zu gewinnen, die ihre Bemühungen der Sprache, der Poesie und der Geschichte unserer Vorfahren zugewendet haben. Den Versuch einer ersten Arbeit in diesem Sinn, von der man wohl sagen kann, daß sie mehr Öl als Salz enthält, liefere ich hiermit; ein Werk voll Materials. Deutsche Rechtsaltertümer heißen sie in dem Verstand, wie ich die Grammatik eine deutsche genannt habe, obgleich beide auch die nordischen und angelsächsischen Quellen unter sich begreifen, und begreifen müßen. Einmal eine solche Verbindung natürlich und notwendig, so kann man auch nicht lange mit dem Namen zaudern. Wir bedürfen hier eines Allgemeinen, und Einwürfe, welche man gegen die Ausdehnung des Wortes deutsch gemacht hat, scheinen mir deshalb unerheblich, weil ähnliche wider jedes andere, man müsse denn ein ganz Neues erfinden, erhoben werden könnten und weil allenthalben die wachsende allgemeine Benennung die Besonderen irgendwo verletzt. Umfaßt uns doch auch die griechische und römische Geschichte zugleich Altertümer der Pelasger, Etrusker, Latiner und niemand ärgert sich daran. In den einzelnen Untersuchungen habe ich die Besonderheit des gotischen, nordischen, sächsischen und jedes andern Stamms sorgsam hervorzuheben gestrebt. Der Tadel aber mag mich treffen, daß ich die Quellen des nordischen und angelsächsischen Rechts verhältnismäßig nicht genug gebraucht habe und ich kann nur das zu meiner Entschuldigung sagen, daß sie mir noch nicht alle zugänglich und zu Händen gewesen sind. Mit verlangen erwarte ich die neue Ausgabe der angelsächsischen und altschwedischen Gesetze, so wie der isländischen Graugans; oft mußte ich mich mit bloßen, vor geraumer Zeit gemachten Auszügen behelfen, zuweilen mit der lateinischen Übersetzung…“